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"Komm gieß mein Glas noch einmal ein, mit jenem billigen roten Wein, in dem ist jene Zeit noch wach,
heut trink ich meinen Freunden nach."

                     
                          (Reinhard Mey)











Link zu youtube



Geschrieben nach dem Lesen eines Zeitungsinserates.
Es ging da wohl um ein Jahrgangs-Klassentreffen.
Ich habe das umfunktioniert zu einem Treffen zur Beerdigung eines Schulkollegen.

Ein Liedertext aus dem Jahr 1972.  


jahrgang 48  


als ich vor kurzem in der straßenbahn
eine alte zeitung fand,
sah ich einen artikel,
über dem ganz dick gedruckt
jahrgang 48 stand. 

und weil ich noch ein paar stationen zu fahren hatte,
sah ich mir den artikel doch mal genauer an.
ich las also weiter, was darunter stand,
wenn auch viel kleiner,
wir haben ihn alle gut gekannt.  

er ist von uns gegangen,
nur leider halt viel zu früh,
jedoch er war unser schulfreund,
deshalb vergessen wir ihn nie.  

und darum wollen wir uns treffen,
schon morgen und zwar so gegen drei.
auf dem stadtfriedhof sind wir alle
bei seinem letzten weg dabei.  

so stand es in dem artikel,
der jedem leser die wahre
schulfreundschaft offenbahrt.
inzwischen kommt der schaffner
und ich zahle zunächst mal meine fahrt.                                     (Schaffner gabs damals noch!)

dann denke ich nach, was morgen
auf meinem terminkalender steht
und sage zu mir, es müßte doch gelingen,
morgen um drei uhr zeit zu haben
um einen freund zu grabe zu bringen.

es war an einem dienstag
da standen sie alle
in schwarz und so vornehm
vor einem offenen grab.
so bunt waren die blumen
und so gefühlvoll die worte,
die der pfarrer dort sprach.  

die blonde marianne,
die eine bank hinter ihm saß
und die ihm immer half,
wenn er seine hausaufgaben vergaß,

sie steht dort und weint
und draußen vor dem friedhof wartet ihr mann,
bis die sache hier vorbei ist
und er sie mit zum kegeln nehmen kann.

und peter, der dicke,
der den schulweg mit ihm zusammen ging,
steht gleich neben robert,
der stets ein musterschüler war.
die beiden plaudern leise
über ihren urlaub vom letzten jahr.  

und die kleine susanne,
früher war sie in ihn verliebt,
sie überlegt ob es unbedingt sein muß,
daß sie dem pfarrer eine spende gibt. 

und dort drüber, ach ja richtig, brigitte,
sie hatte fast täglich mit ihm streit,
blickt verträumt auf die blumen
und denkt, das ist mir aber geglückt.
sie arbeitet in einem blumengeschäft
und sie hat das grab hier geschmückt. 

franz und heiner stehen ganz hinten
und das hat seinen guten grund.
sie wollen am ende zuerst den ausgang finden,
denn sie haben schon jetzt einen trockenen mund.  

und sie trinken so gerne,
wie er es auch oft mit ihnen tat.
sie schulden ihm noch einen halben,
doch den haben sie jetzt ja gespart.  

aber gisela war immer vernünftig,
sie war die klassensprecherin
und sie steht auch jetzt ganz vorne an der gruft.
und matthias, das rechengenie,
steht bei ihr und hält ihre hand,
früher hat er das nie gedurft.

hartmut spielt nervös mit den fingern,
denn er hat nur sehr wenig zeit.
und werner, der sportsmann, blickt zum himmel
und hofft, daß es doch bald schneit.    

die stille angelika, wie schick sieht sie heute aus,
sie scheint so nachdenklich,
doch der anschein trügt.
sie beobachtet die enten auf dem teich,
wo eine bei der landung durchs wasser pflügt.  

was so ein stein wohl kostet,
überlegt sich günther,
während er den grabstein taxiert.
und bärbel blickt laufend zur uhr,
damit sie den anschluss
an den nächsten zug nicht verliert.

und thomas ist betrunken,
aus der kneipe hat man ihn hergebracht.
aber er hat sich ja auch schon früher
nie sehr viel aus freundschaft gemacht.  

yvonne, christina und rosi,
aus ihnen werde ich nicht schlau.
genau wie früher in der schule,
so glauben sie auch hier,
sie wären auf einer modenschau.  

und richard konnte nicht kommen,
er hat sich jedoch schriftlich abgesagt.
er schickte blumen und habe keine zeit,
weil ein termin den anderen jagt.  

holger blickt betreten zu boden,
während entfernt die glocken klingen,
fällt ihm ein, er müßte noch
seine schuhe zum schuster bringen.  

bernd und herrmann scheinen zu flüstern,
daß man den freund nicht so schnell vergißt.
doch das stimmt nicht, sie reden darüber,
welcher ihrer wagen wohl der schnellere ist. 

und margarete geht schon früher,
denn sie muß ganz dringend in die stadt.
er würde es doch sicher verstehen,
weil sie dort ein rendevouz hat.  

waltraud hat in der schule,
sehr oft ihn beim lehrer verpetzt,
doch sie hat wegen der beerdigung
heute sogar ihren freund versetzt.  

jedoch nur um sich mit einem anderen zu treffen,
der bereits auf dem friedhof hier steht.
während lothar zum zigaretten holen
inzwischen zu einem kiosk geht.  

reinhard denkt an den film,
den er gestern im fernsehen sah
und fritz, der schulschwänzer,
ist natürlich auch heut nicht da.  

und all die übrigen stehen teilnahmslos herum,
obwohl sie einst seine schulfreunde waren.
sie denken an alles, nur nicht an ihn,
auch freundschaft stirbt mit den jahren.  

ich wende mich jetzt ab und gehe,
gebe mir mühe das bild zu vergessen
und frage mich hat so ein treffen
denn überhaupt noch einen sinn?

es ist der jahrgang 48,
aber welches jahrhundert,
denn sie sind sich so fremd und ich bin froh,
daß ich ein anderer jahrgang bin.














"Die Vergangenheit ist ein gefährliches Land."

(Gianrico Carofiglio)


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Die nächsten drei Texte sind aus dem Jahr 1976.Diese Zeit war ähnlich wichtig und ereignisreich, wie zehn Jahre später das Jahr 1986.










                   
                       für Bärbel  (1976)

im süden hat es zu regnen begonnen,
ich habe einen teil von mir aufgegeben,
ihn nach dort verschenkt
und nun habe ich angst.
die kalte zeit wird allgegenwärtig, 
besitzergreifend,
die einsamkeit unerträglich
beherrschend 
und der tod kalkulierbar,
fast erlösend.
die flucht ersetzt das suchen
nach neuen wegen.
ich brauche dich, 
denn du bist meine letzte rettung.

   du bist meine letzte rettung 
   vor mir selbst und vor der zeit.
   du bist der lohn für meinen kampf 
   gegen die oberflächlichkeit.

im süden hat es zu regnen begonnen
und ich fürchte mich davor, 
dich einmal so gerne zu haben,
dass ich selbst glücklich bin.
und manchmal glaube ich,
es ist schon längst geschehen.
meine ruhelosigkeit verbietet mir 
den stillstand 
und meine unzufriedenheit 
das glücklichsein.
deine gegenwart ist ein beitrag
für mein überleben,
ein unheimlich wichtiger,
denn du bist meine letzte rettung.

du bist meine letzte rettung   
vor mir selbst und vor der zeit.   
du bist für mich der rest des traumes   
von der insel "zärtlichkeit".  

schon heute habe ich mehr angst davor
dich zu verlieren,
als mich selbst.
im süden hat es zu regnen begonnen, 
was heißt das schon?


Du warst sehr oft meine "letzte Rettung", wahrscheinlich mehr,
als du es ahntest. Und ich auch.










Wo magst du jetzt wohl sein? 
Wir haben uns aus den Augen verloren,
ich dich aber nicht aus meinen Gedanken.

______________________________________________________________________________


In dieser Zeit begannen meine zahlreichen, oft recht abenteuerlichen, Touren durch die Türkei.









                           für Nevin  (1976)

wenn du jetzt gehst, alleine gehst,
dort zu dieser tür hinaus,
dann gib acht, daß du dich nicht verirrst.
die fallen stehen überall bereit
und vielleicht wird niemand um dich trauern,
wenn du darin gefangen wirst.

die fallensteller sind in der überzahl,
pass auf, weil sie deine träume
mit nadelstichen attakieren.
flieh vor ihnen, lauf so schnell du kannst,
du darfst nicht, so wie sie,
an der oberflächlichkeit erfrieren.


achte nicht darauf, 
wie sie die zähne fletschen 
und gierig nach dir schauen. 
mit vielen händen greifen sie nach deinem körper
und mit vielen schönen worten
schleichen sie in dein vertrauen.

die messer tragen sie versteckt, 
doch wenn du dich umdrehst sind sie
griffbereit und glitzern scharf und blank.
lächelnd werden sie dich massakrieren,
doch hüte dich, von weitem schon erkennst du sie
an neid und hass und am gestank


du mußt laufen, bleib nicht stehen,
geschenkt wird dir doch nur der tod
und die gewissheit, daß man dich bald vergißt.
doch vorher kommen angst und die verzweiflung
und du wirst erkennen, daß der tod 
noch lange nicht das schlimmste ist. 

flüchte in dich selbst und weine, 
die welt ist krank und wird
an der verlogenheit noch sterben.
es wäre sinnlos ihr zu helfen, 
denn du wirst nur unverständnis
und vielleicht ein müdes lächeln erben.

und wenn du glaubst, es ist zu viel,
leg deine ruhelosigkeit in meine hände,
ich teile sie mit dir sehr gerne.
zusammen sind wir stärker als die angst 
und im meer der zärtlichkeit ertrinken wir
und die eiszeit liegt in weiter ferne.







Wohin der Weg uns hätte führen können, haben wir nie erfahren. Vielleicht kam alles zu früh und zu schnell.




Und wohin dein Weg dich geführt hat, weiß ich auch nicht.


               (Das Lied von Peter Maffay mit dem gleichen Titel erschien erst 6 Jahre später 1982)

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Im September 1976 bin ich in die Türkei gefahren, um meine Freundin dort zu besuchen. Bis an die griechisch-türkische Grenze bin ich fast ohne Pause durchgefahren. Dort fragte mich ein junger Deutscher, ob ich seine türkische Freundin mit nach Izmir nehmen könne, weil er Probleme mit den Autopapieren habe und nicht über die Grenze komme. Ich sagte zu und unterwegs stellte sich dann heraus, dass seine Freundin auch mit meiner Freundin befreundet war und sie mich von deren gezeigten Fotos wiedererkannt hätte. 
Das folgende Lied entstand auf unserer gemeinsamen Weiterfahrt.



die vielen kilometer summen leise,
als wären es melodien
und die gräser salutieren dem wind. 
die nacht ist fremd und einsam, 
doch sie macht uns keine angst, 
solange wir zusammen sind.

wir haben uns nicht gesucht 
und auch nicht gefunden, 
der zufall hat uns zu freunden gemacht. 
und irgendwie sind wir gerne zusammen, 
in diesen wenigen stunden 
unserer fahrt durch die türkische nacht.   

heute nacht fällt der mond noch auf die straße, 
wenn wir beide daran glauben, 
werden wir es sehen. 
heute nacht fällt der mond noch auf die straße 
und wir werden dann die ersten sein, 
die vor dem neuen morgen stehen.

es ist nicht mehr sehr weit 
und ist das ziel auch ungewiss, 
wir halten es ganz fest in unseren händen. 
die illusionen waren schön, 
aber doch nicht fest zu halten, 
lassen wir`s dabei bewenden.   

irgendwann wird der tag uns trennen, 
am horizont wird die sonne stehen 
und glitzerndes licht auf den wellen treiben. 
dann werde ich alleine weiter fahren 
und habe sicher bald auch eingesehen, 
es konnte nicht immer dunkel bleiben.


heute nacht fällt der mond noch auf die straße, 
wenn er sich vorher 
nicht in der helligkeit verirrt. 
heute nacht fällt der mond noch auf die straße, 
wie ein stein, 
der einem fliehenden nachgeworfen wird.


für Nesrin  (1976)

und unsere 11 stündige Fahrt durch die türkische Vollmondnacht.










(Von ihr habe ich danach nie mehr
 etwas gehört.)



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Im Altbau des Krankenhauses waren in Zimmern unter dem Ziegeldach die alten Rot-Kreuz-Schwestern untergebracht, die nicht mehr gearbeitet haben, aber weiterhin versorgt wurden. 

(Ein Liedertext aus der "Limburger Zeit"  von 1981)
                                                 (PS: Das Krankenhaus Limburg ist hier aber nicht gemeint.)
  



die alten frauen  


der schnee fällt immer nur auf alte dächer,
die tragen ohnehin schon schwer und merken es nicht so.
die alten frauen verkriechen sich in ihre angstgemächer
und denken an 1950, damals waren sie zum letzten mal froh.    

in den balken scheint die zeit zu stöhnen
und auf den treppenstufen sind die jahre festgetreten.
die alten frauen können nicht einmal mehr sich selbst verwöhnen,
in ihren kammern unterm dach
sind sie dem herrgott nah und beten.   

von den decken rieselt kalk, in ihren arterien sitzt er fest,
am fenster und am horizont hängen selbstgehäkelte gardinen.
abundzu den fußboden zu kehren ist alles,
was man sie noch tun läßt und jeder gegenstand
erinnert sie daran, wem sie in allem dienen.

die alten männer hat es sicher auch einmal gegeben,
inzwischen sind sie aber  schon seit langem tot.
vor dreißig jahren, da waren sie noch am leben,
damals konnten sie noch lächeln und blasse lippen waren rot.   

die alten frauen schauen neidisch,
wenn junge mädchen durch die flure gehen,
wie ihre körper sich bewegen,
an alte ohren dringt ein junges lachen.
dann starren sie durch trübe fenster,
ob wohl sie nicht mehr sehr gut sehen
und nicht mehr sehr gut hören,
eigentlich fast nichts mehr sehr gut machen.    

die blumen werden immer noch gepflegt
und stehen auf den gleichen fensterbänken,
auch sie sind alt und wollen schon lange nicht mehr blühen.
ein paar verstaubte bücher verleiten fast zum denken,
doch weil das traurig machen könnte,
will niemand sich so recht bemühen.

und in der nacht gehn ihre schatten
ruhelos im zimmer hin und her,
sie können nicht mehr richtig schlafen
und verstreuen im treppenhaus ihr gift.
die beine sind zu dünn für dicke körper
und sie zu heben fällt besonders schwer,
die alten frauen träumen wach davon,
daß alles was geschieht, sie nicht mehr betrifft.    

doch am anderen morgen sind sie wieder
einen tag älter und haben nur vierundzwanzig
stunden zeit, sich darüber zu beklagen.
der winter ist in diesem jahr für viele sehr viel kälter als früher
und, so scheint es, auch viel zahlreicher an tagen.

der schnee fällt immer nur auf alte dächer,
die tragen ohnehin schon schwer und merken es nicht richtig.
die alten frauen verkriechen sich in ihre angstgemächer
und trübe augen hängen an den kruzifixen,
was ist denn überhaupt noch wichtig?






"Alles ist gut, alles ist schlecht.

Die Gläser füllen sich und sind
ganz einfach wieder leer,
und manchmal in der Frühe,
sterben sie geheimnisvoll.

Die Gläser und die sie leerten."

                        (Pablo Neruda)

                                                                                                                                       

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Und hier noch ein Liedertext aus der "Limburger Zeit" von 1983
in einer Art Berufschule zum Thema:
Hinter einer unaufmerksamen Schülerin steckt oft was ganz anderes, als Faulheit.    


astronomie   

sie sitzt müde in der schule,
hört dem lehrer kaum noch zu,
wenn er sagt sie sei zu faul
und würde nie was lernen..
für morgen solle sie nun schreiben
einen aufsatz über astronomie
und alles was sie wisse von den sternen.    

dann geht sie nach hause,
vorbei an mädchen
in cafes und boutiquen.
gelegentlich betrachtet sie sich
im spiegel eines schaufensters
und denkt daran, dass sie kein geld hat
und auf dem schnellsten wege heim muss.

denn da ist ihr kind
und das ist krank,
sie macht sich sorgen,
weil man nicht weiß,
woran es leidet.
sie läuft von arzt zu arzt
sitzt jede nacht an seinem bett
und hofft und wartet.

da ist ihr mann,
der zu viel trinkt
und jeden abend
spät nach hause kommt.
der andere frauen hat
und sie beschimpft
und manchmal schlägt
und den sie vor langer zeit
einmal geliebt hat.    

da ist die schwiegermutter,
die ihr ständig sagt,
dass sie zu schlecht für ihren sohn ist.
die sie belehren will,
in allem was sie tut
und die ihr vorschreibt,
wie ihr haushalt auszusehen hat.    

da ist die mutter,
alt und krank,
für die sie putzt und kocht
und wäscht und einkauft.
da ist das grab von vater,
wo sie für die blumen sorgt
und oft sehr lange steht
und an die kindheit denkt,
die noch gar nicht lang vorbei ist.

da ist ein spiegel,
in den sie schaut
und ein gesicht sieht,
so fremd und fast schon alt,
obgleich nur neunzehn jahre.
da war doch früher mal ein mädchen,
jung und froh, und voller ideale.
 
und lang nach mitternacht,
im haus ist alles ruhig,
raucht sie mit zitternden händen
die wer weiß wievielte zigarette.
den alkohol hat sie vermieden,
doch dass er nicht mehr weit ist,
das ahnt und das befürchtet sie.

und so sitzt sie stumm am fenster,
weint ein wenig leise
und denkt nach über astronomie.            












"Gut zu fühlen, dass der Drang,
 seine Seele auszuleeren,
 schweigen kann, obwohl man weiß,  er wird immer wiederkehren."

                      (Konstantin Wecker)


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Hier kommt noch ein Liedertext aus dem Jahr 1981
zum Ende eines Lebensabschnitts und zum Beginn
eines neuen wichtigen und schönen Zeitraums:








"Und jeder Zeitraum
 hat etwas eigenes,
 Frauen, Mädchen oder Kastanien..."

                           (André Heller)

zwei tote auf dem weg ins leben  


zuerst habe ich deine augen gesehen,
dann deinen körper
und dann dich,
hinter den hecken auf
irgendeiner gegenüberliegenden seite.
natürlich lagen jahre dazwischen,
aber auch straßen, flüsse, meere -
du bist für mich immer auf
der gegenüberliegenden seite geblieben.  

wir lernten uns auf distanz kennen,
sehr entfernt und sehr schnell
und erst in der trennung
kamen wir uns langsam näher.
wir liebten den reiz des fremden,
des ungewissen, unvollendeten -
und wir haben nun den reiz verloren,
nur das fremde ist geblieben.    
  zuerst habe ich deine augen verstanden,  
  dann deinen körper,  
  aber niemals dich.  

wir sind zwei tote auf dem weg ins leben,
zum zweiten mal, zum dritten mal,
zum wer-weiß-wievielten mal.
wir räumen jene felsen weg, mit denen
wir uns einst den weg verstellten,
jetzt endlich sind wir dazu bereit,
gleiches mit gleichem zu vergelten.    


die fehler, die wir machten,
haben unsere zeit gefüllt,
überfüllt.....
wir waren nur am suchen interessiert
und haben nicht gemerkt,
dass wir längst etwas gefunden hatten.
die mißerfolge haben wir gesammelt
und in tagebüchern über die jahre gerettet,
doch die erfolge ließen wir davonfliegen,
dabei hätten wir noch so viel lernen können.  

wir hatten niemals gemeinsame pläne
und waren doch enttäuscht,
wenn etwas kam wie es kam
und wir hatten nicht den mut
uns unsere wünsche einzugestehen,
wie es hätte kommen sollen -
ich habe zu viel geredet, du zu wenig,
ich habe zu wenig zugehört, du zu viel.    
  zuerst habe ich deine augen verstanden,  
  dann deinen körper,  
  aber niemals dich.  

wir sind zwei tote auf dem weg ins leben,
zum zweiten mal, zum dritten mal,
zum wer-weiß-wievielten mal.
wir räumen jene felsen weg, mit denen
wir uns einst den weg verstellten,
jetzt endlich sind wir dazu bereit,
gleiches mit gleichem zu vergelten.    

wir haben einen kahlen gipfel erklommen
und fruchtbare täler hinter uns zurückgelassen,
doch jetzt geht es nicht mehr weiter,
nicht mehr höher hinaus, wir müssen zurück.
alles was wir jetzt zu tun haben,
ist irgendwann schon einmal getan worden,
alles was wir jetzt zu sagen haben,
ist irgendwann schon ein mal gesagt worden.
nun haben wir die chance, es besser zu machen
und es vielleicht auch ehrlicher zu sagen.  

vor uns warten sie vergebens, über uns...
wir gehen zurück und wissen
wie gut es tut zurück zu gehen
und zu finden, was wir verloren haben,
lass uns langsam gehen,
es geht doch alles viel zu schnell.
wir lassen uns nicht mehr hetzen. 
jetzt wo ihr uns alle überholen könntet,
kommt ihr uns entgegen.    
  zuerst habe ich deine augen verstanden,  
  dann deinen körper,  
  aber niemals dich.  

wir sind zwei tote auf dem weg ins leben,
zum zweiten mal, zum dritten mal,
zum wer-weiß-wievielten mal.
wir räumen jene felsen weg, mit denen
wir uns einst den weg verstellten,
jetzt endlich sind wir dazu bereit,
gleiches mit gleichem zu vergelten.    

zuerst möchte ich deinen augen sehen,  
dann deinen körper  
und dann dich.
dann möchte ich deine augen verstehen,
dann deinen körper
und dann dich.
und dann möchte ich dich lieben,
dann möchte ich dich lieben.....  

wir sind zwei tote auf dem weg ins leben,
zum zweiten mal, zum dritten mal,
zum wer-weiß-wievielten mal.
wir sind zwei tote auf dem weg ins leben,
zum wer-weiß-wievielten mal.



"a gift from a flower
           to her garden"


                                 (von Inge)












                 



                                   Noch ein Text aus dem Jahr 1976







                                       




                                       (für Inge)

die momente die mich leben lassen
nährboden für meine angst.
farbkontraste für meinen blick
in eine düstere zukunft,
erinnerungen an stunden
in denen wir uns nicht
vom regen unsere wünsche
diktieren lassen.

auch hinter den wolken sind berge,
wir denken sie uns weg,
diebstahl an traditionen.
Im fluss treiben viel zitierte
nicht existente balken vorbei,
dazwischen forellen
und schlangen mit diamanten,
unsere geheimnisse - wie die augen.

sonnenuntergänge in touristen-altstädten,
das leben verfolgt uns auch nach pakistan.
gleichnisse und tastsachen,
die wir mit füssen treten.
„wir“, ein wort wie „endlich“
und doch traurigkeit.
hinter bambusvorhängen wächst
das gras langsamer als die angst.  

blicke, die mein leeres gerede mit worten füllen
wünsche spielen roulette, sehnsüchte sterben
die hoffnung ist ein invalide, der hilfe braucht
eine stimme am telefon zerstört die einsamkeit,
auch nicht gesagte worte füllen bücher.
zum träumen ist plötzlich kein schlaf mehr notwendig. 

gegenwart ist der tod der jäger,
gedichte von karl krolow,
grabsteininschriften
für gesammelte komplexe,
meilensteine auf dem weg
nach schloss kranichstein.  

siebenundzwanzig rosen
verzögern das innere sterben.
an deinem namen scheitern
meine ausdrucksmöglichkeiten.
gefühle resignieren vor der wahrheit
und was noch geblieben ist,
hat einen langen weg vor sich.

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Diese Widmung: "A gift from a flower to her garden" hat mir Inge einmal in ein Buchgeschenk geschrieben. Der wahre Inhalt ist mir erst viel später klar geworden. Inge war immer eine Blume, die im Verborgenen geblüht hat und leider auch viel zu früh verblüht ist. Ich weiß jetzt erst viel später, dass ich für ein paar Jahre ihr "Garten" sein durfte. Und vielleicht gehört das zu den wirklich guten Dingen, die ich in meinem Leben getan habe.


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Der folgende Text ist von 1981 und er war nur schwer auffindbar. Ich will ihn trotzdem hier bringen, weil es eine wichtige Zeit betroffen hat. Und ich wollte ja wohl nicht diese Zeit vergessen, sondern das vergehen der Zeit allgemein.


wenn ich nur die zeit vergessen könnte

wenn ich nur die zeit
vergessen könnte,
denn sie läuft gegen mich,
doch das macht mich
jetzt gar nicht mehr so traurig,
denn ich weiß, sie läuft für dich.

wenn ich alleine bin,
fühle ich mich nicht einsam,
sondern manchmal nur sehr alt,
du lässt mich das vergessen,
wenn ich bei dir bin,
sehe ich meine möglichkeiten. 

und wenn du gehst,
dann gehen auch sie.
meine gedanken an dich
sind das schönste,
was ich zur zeit habe,
nur zeit habe ich nicht. 

wenn ich nur die zeit
vergessen könnte,
denn sie läuft gegen mich,
doch das macht mich
längst nicht mehr so traurig,
seit ich weiß, sie läuft für dich.

und niemals werde ich
ein böses wort zu dir sagen können.
dich zu verletzen hieße
selbstmord begehen
und das macht mir etwas angst.

und so versuche ich
in mancher nacht zu begreifen,
was du für mich bist.
doch nicht die nacht,
sondern die sonne
könnte diese frage beantworten.

wenn ich nur die zeit
vergessen könnte,
denn sie läuft gegen mich,
obwohl mich das schon
längst nicht mehr so traurig macht,
seitdem ich weiß, sie läuft für dich.

                                                              

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Was nun folgt ist ein Lied, das ich im Jahr 1988 geschrieben habe,
also gegen Ende des Jahrzehnts, wo für mich so viel wichtiges geschehen war.
Ich habe es noch in meinem Fundus (Keller) gefunden.


die letzten blicke
sind schon lang gewechselt,
die letzte worte
sind schon lang gesagt.
die letzten küsse
sind lange schon gegeben,
die letzten fragen
bleiben ungefragt.

die letzten wege sind
gemeinsam längst gegangen,
die letzten siege
zusammen längst erzielt.
die letzten pläne schon
vor langer zeit gescheitert,
die letzten wünsche
bleiben unerfüllt.

 alles entsteht, alles vergeht,  
 ist es zum ersten mal 
 oder zum letzten mal, 
 ist es zu früh, oder zu spät?  
 alle sagen ja, alle sagen nein,  
 sind die menschen zu groß,  
 oder zu klein?   

die letzten männer
sind in den krieg gezogen,
der letzte stolz ist
lang schon nichts mehr wert.
die letzten lügen
sind alle aufgeflogen,
die letzte kraft
ist lang schon aufgezehrt.  

die letzten frauen
sind schon lang betrogen,
die letzten träume sind
schon lange ausgeträumt.
die letzten vögel
sind nach afrika geflogen,
die großen chancen sind
zum letzten mal versäumt.    

 alles entsteht, alles vergeht,   
 ist es zum ersten mal
 oder zum letzten mal, 
 ist es zu früh, oder zu spät?  
 alle sagen ja, alle sagen nein, 
 ist die liebe zu groß 
 oder zu klein?                                                        


die letzten kinder
sind schon lang erwachsen,
die letzten ostereier
lang schon gut versteckt.
die letzten wunder dieser
welt sind schon entzaubert,
die weißen flecke
sind alle längst entdeckt.  

die letzten ehen
sind schon lang geschieden,
die letzten tränen
sind lange schon geweint.
die letzten blumen
sind schon lang vertrocknet,
vielleicht hat auch die sonne schon
zum letzten mal gescheint.   

 alles entsteht, alles vergeht, 
 ist es zum ersten mal
 oder zum letzten mal,  
 ist es zu früh oder zu spät?  
 alle sagen ja, alle sagen nein,  
 ist diese welt zu groß  
 oder zu klein?   

die letzten wälder
sind schon lang gestorben,
die letzten wiesen
schon lange asphaltiert.
die letzten autos
sind schon lang verrostet
und wer gut fahren will
wird längst nicht mehr geschmiert.  

das letzte kraftwerk
ist lang schon abgeschaltet,
der letzte wahlkampf
ist schon lange aus.
die letzte kühe
sind schon lang geschlachtet,
die letzten gastarbeiter
längst wieder zu haus.   

 alles entsteht, alles vergeht, 
 ist es zum ersten mal
 oder zum letzten mal,  
 ist es zu früh oder zu spät? 
 alle sagen ja, alle sagen nein,  
 ist die zukunft zu groß  
 oder zu klein?                                                                 


die letzten asylanten
sind lang schon abgeschoben,
die letzten idealisten
sind lange schon frustriert.
die letzten tabus
sind endlich aufgehoben,
die letzten narren
sind gewaltsam demaskiert.

die letzten bomben
sind lange schon geworfen,
die letzten meere
schon lange umgekippt.
die letzten steuern sind
schon lange hinterzogen,
die letzten wahrsager haben
wie meistens falsch getippt.

 alles entsteht, alles vergeht,
 ist es zum ersten mal
 oder zum letzten mal,
 ist es zu früh, oder zu spät? 
 alle sagen ja, alle sagen nein,
 ist die wahrheit zu groß
 oder zu klein?

die letzten nobelpreise
sind schon lang verliehen,
die letzten tierversuche
sind lange schon gemacht.
die letzten sünden sind
uns allen längst verziehen,
über die letzten witze wird
schon lang nicht mehr gelacht.  

die letzten zechen
sind schon längst geschlossen,
die letzten fäuste sind
lange schon geballt.
das letzte pulver
ist lange schon verschossen,
das letzte echo
ist lange schon verhallt.

 alles entsteht, alles vergeht,  
 ist es zum ersten mal
 oder zum letzten mal,  
 ist es zu früh oder zu spät?  
 alle sagen ja, alle sagen nein,  
 ist der glaube zu groß 
 oder zu klein?  


die letzten opfer
sind schon lang gefunden,
die letzten spieler
haben ausgespielt.
die letzten feinde
sind im fluß vorbeigetrieben,
der letzte pfeil
hat auf dein herz gezielt.

 die letzten henker
sind schon lang gerichtet,
die letzten toten
sind schon lang verscharrt.
die letzte schreie
sind lange schon verklungen,
die hohen herren haben
uns zum letzten mal genarrt.    

 alles entsteht, alles vergeht,  
 ist es zum ersten mal
 oder zum letzten mal,  
 ist es zu früh oder zu spät?  
 alle sagen ja, alle sagen nein,  
 sind die herzen zu groß  
 oder zu klein?  

die letzten reden
sind schon lang gehalten, 
die letzten fässer
sind schon lang geleert.
die letzten gläser
sind auch schon ausgetrunken,
und die letzten flüche
bleiben unerhört.  

die letzten gräber
sind schon lang gegraben,
die letzten grenzen
sind schon lang verwischt.
die letzten lieder
sind lange schon gesungen,
das letzte abendmahl
ist aufgetischt.  



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"für meine Schwester"





















(ein Foto aus den 60er Jahren)

                                                            

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(Link: Weihnachtskarte 2008)



IN DEN STRASSEN...
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in den straßen
alles bunt
leuchtend
glitzernd
die schaufenster
die augen
das geld

für vier wochen
rückt das elend
in die ferne
wo es hingehört
nach afrika
nach indien

neue geschenkidee:
der heimcomputer
der das gewissen
ersetzt

 

          - - -

 

lärm als
ausdrucksmöglichkeit
die einzigste
wenn man mal
vom pelzmantel
absieht

plastikbeutel
als brechtüten
für bruchlandungen

konsumterroristen
entführen sich
gegenseitig
und keiner weiß
wohin

 

          - - -

 

je besser
der mensch
desto voller
die einkaufstasche

je freundlicher
die gesinnung
desto zufriedener
die innung

je fließender
das geld
desto glücklicher
die welt

je lauter die klage
desto hoffnungsloser
die lage

 

          - - -

 

treten sie
nicht näher
bedenken sie:
wer getreten wird
tritt zurück

also
vermeiden sie
die nähe

 

          - - -


ADVENTSONNTAG...
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dezembersonntag
schon in der kirche
nichts neues:
advent - wie immer
um diese zeit

frühschoppen
schweinebraten
dämmerung
zum kaffee
sportberichtserstattung
wenn man glück hat
abends ein tatort

die späten stunden
vergehen schneller
kostbarer wird die zeit
die man nicht mehr hat

 
                                                                                                  (Link: Weihnachtskarte 2009)
          - - -

 

früh am morgen
sind alle tage gleich...
gute chancen
zuversicht
hoffnung

unvermögend
diese stunde zu halten
verlieren wir sie
an unternehmungen
enttäuschungen
und gerede

mittags
eine lange trauer
und dann
ein langer nachmittag

 

          - - -

 

spaziergang
am nachmittag
die luft
klar und kalt
auf den feldern
krähen
die dich beobachten

einsame bäume
zeigen mit
kahlen ästen
auf dich
vergessene äpfel -
auch du
hast etwas vergessen

 

          - - -

 

abends nur
nicht nachdenken
musik und bier
oder doch...
ein wort
ein buch
nur keine tränen

gnadenlos
so ein sonntagabend
zum glück
ist advent
die kerze
rechtfertigt
die schatten
im gesicht






WARTEN AUFS CHRISTKIND...
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warten aufs christkind
als du klein warst
hat es dir spaß gemacht
du hast gebangt
gehofft und
heimlich durch das
schlüsselloch
gesehen

und heute?
wer wartet denn noch
auf ein kind?
wir warten auf godot
oder den weltuntergang
und durch das
schlüsselloch
haben wir auch schon
gesehen

 

          - - -

 

vorfreude
ist die schönste
freude
haben uns die alten
erzählt
und die welt
für uns
...aufgebaut

langsam
begreifen wir
dass es
schadenfreude
gewesen sein muß

 

          - - -

 

stunden zählen
möglichkeiten abwägen
hoffnungen bewahren -

es war so einfach
alt zu werden

wir haben es ja
auch oft geübt
nur begriffen
haben wir es nie 

 

          - - -

 

um den worten
einen sinn zu geben
erfinden wir einen -

wir halten selbstbetrug
für zufriedenheit
nachdenklichkeit
für unsicherheit
und innere schönheit
für ein röntgenbild

so geben wir allem
den sinn
den wir gerne hätten

 

          - - -



AUF DEM GABENTISCH...
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es gibt so viele
nützliche dinge
wie gehackte zwiebel
aus der tube
oder frische luft
aus der spraydose

ich schlage vor:
dosiersysteme
für emotionen
filterpapier dreilagig
nässepuffer für
freudentränen
und für die
kritische schwiegermutter
eine anleitung
zur selbstkritk

                                                                   (Link: Weihnachtskarte 2010)

          - - -

 

kaufen sie
kaufen sie -
was sie nicht haben
was sie nicht sind

kaufen sie
eine weltanschauung
eine meinung
ein gesicht -
übrigens im praktischen
dreier-set ab 37,50 DM
umtausch ausgeschlossen
auch als
geschenkpackung

sie erhalten gratis dazu
eine persönlichkeit
gegen aufpreis
eine bessere

 

          - - -

 

es gibt jetzt
eine videocassette
die zeigt
einen christbaum

stundenlang
einen christbaum
mit echten kerzen
versteht sich

diese cassette
ist für jugendliche
nicht geeignet

 

          - - -

 

unsere attraktion:
zahncreme und weihwasser
in einem

beseitigt alle falten
im gesicht
und anderswo

erübrigt sogar
das hände falten    








Noch `n Weihnachtsgedicht...




Josef sprach in Galiläa,
"betrachte ich die Sache näha,
 so kann ich nicht der Vater sein.
 Maria, sprich: Wie heißt das Schwein?"

"Lieber Josef, glaube mir,
 dieser Knabe ist von dir.
 Woher kommen deine Zweifel
?"
"Nicht von ungefähr, zum Teufel.

 Ein Herr Engel kam zu mir
 und erzählte mir von dir
 und deiner Affäre mit Herrn Geist,
 was deinen Seitensprung beweißt."

"Aber nein, so glaube mir,
 dieser Herr Engel war auch hier
 und sagte, daß sein Chef ihn schickt,
 damit was ganz besondres glückt.

 Es ist wahr, ich bitte dich,
 er sprach, ein Geist käm über mich
 und mir ward es Angst und banger,
 ich ward ganz von selber schwanger.

 Ich gehör doch zu den Braven
 und hab mit keinem Kerl geschlafen
."
"Oh je, soll ich das etwa glauben?
 Willst du den Verstand mir rauben?

 Nein, das find ich unerhört,
 hat deine Mutter dich nicht aufgeklärt?
 Und du willst noch Jungfrau sein,
 darauf falle ich nicht rein."
 
"Aber..." "Schweig, das hör ich gern
 und was ist mit diesem Stern,
 der dort groß am Himmel steht?
 Nein, zum Lügen ists zu spät.

 Verstell dich mir doch nicht so dreist
 und zeig mir diesen scheinheiligen Geist.
 Schaue in die Augen mir,
 wer sind die drei dort an der Tür?"


"Ich kenn sie nicht, jedoch ich denke,
 sie bringen unsrem Kind Geschenke
."
"Unsrem Kind? Das wird ja immer schlimmer,
 ist das hier ein Stall oder ein Kinderzimmer?
 
 Was macht das ganze Viehzeug hier?
 Was wollst ihr drei, so sagt es mir."                                         
"Wir kommen von der Morgenpost
 und folgten diesem Stern gen Ost,

 zu sehen diesen kleinen König."
"Jetzt verstehe ich nur wenig,
 warum das Kind dort König heißt,
 ich denk der Vater ist Herr Geist?

 Maria, sprich, was ist das dran,
 gibts da noch nen zweiten Mann?"

"Josef, bitte glaube mir,
 hatt ich bislang auch nichts mit dir,
 mit andern nicht einmal im Traum,
 die Herrn Geist und König kenn ich kaum.

 Ganz von selbst kam dieser Bengel,
 wenn dus nichts glaubst, dann frag Herrn Engel,
 oder allem Ernst zum Spott,
 frag seinen Chef, den Karel Gott.
"

Josefs Gesicht wird immer länger,
"was weiß denn dieser Schlagersänger?"

"Lieber Josef," sprach Herr Engel leis,
"deine Hörner sind der Preis
für den Glauben von zweitausend Jahr,
ich sage dir, er wird mal wahr.

Und außerdem, nicht zuletzt,
hast du sie dir selber aufgesetzt.
Schuld dran ist dein Stolz als Mann,
der nur anerkennen kann

was er selber hat geschafft,
mit seiner eignen Körperkraft
und auch nur mit eignem Geist,
was genaubetrachtet heißt,

die Menschen würden auf die Lehren
eines Zimmermannsohnes hören,
der, genauso beschränkt wie du,
nichts anderes will, als seine Ruh.

Was wäre dann des Glaubens Lohn?
Nein, zum Glück ists nicht dein Sohn."

Josef ist jetzt überzeugt
und geht davon, vor Gram gebeugt,
ahnt schon, daß die Welt total verkehrt,
später Frau und Sohn verehrt,

und keiner denkt an ihn zurück -
plötzlich lacht er: "Welch ein Glück."

                                   (Foto: Weihnachten in Cassone/Lago di Garda)






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Es ist der letzte Tag des Jahres. Noch eine Stunde und vierzig Minuten. Draußen knallt es von Zeit zu Zeit, mal näher, mal entfernt. Es hört sich ein wenig an wie Krieg. Vielleicht ist es Krieg, auf jeden Fall wird geschossen.. Aus Freude? Aus Verzweiflung? Aus Notwehr? Schüsse zur Verteidigung und zum Angriff klingen gleich. Auch die Wunden, die sie reißen, sind die gleichen. Verteidigen sie das alte Jahr gegen das Neue? Angriff ist die beste Verteidigung.

Warum sitze ich hier an meinem Schreibtisch? Vor mir eine Kerze, eine Flasche Rotwein, hinter mir ein ganzes Jahr.

Warum kämpfe ich nicht mit, verteidige nichts und niemanden, greife niemanden an? Keine Siegesfeier, kein Begräbnis, noch nicht einmal eine Wiederauferstehung. Was mache ich hier?

Noch eine Stunde und fünfundzwanzig Minuten. Ist das die Zeit Vorsätze zu fassen? Ich rufe: Fass! Doch der Hund bleibt sitzen. Es ist ein Faß ohne Boden. Bodenlos. Gnadenlos. Noch nicht einmal das Losglück ist mir treu geblieben. Überhaupt ist das so eine Sache, mit der Treue. Wer bleibt wem treu? Und warum? Treue klingt wie Reue. Ist das jetzt die Zeit Vorsätze zu bereuen? Der Jahreswechsel hat nichts zu tun mit den Wechseljahren, soviel ist mir klar. Dennoch ist es die Zeit, sich mit dem Alter zu beschäftigen. In dieser Nacht werde ich um ein Jahr älter, nicht an meinem Geburtstag. Deshalb ist es für mich die Zeit nachzudenken. Die Partys sind abgesagt, die Rolläden geschlossen, das Glas gefüllt. Der letzte Weihnachtsstollen ist gegessen, der Käse steht noch auf dem Tisch. Noch ist es Zeit zurückzuschauen.

Noch fünfundsechzig Minuten. Die Front ist näher gerückt. Ich schenke mir ein neues Glas Wein ein, ich schenke mir reinen Wein ein. Und zünde mir noch eine Zigarette an. Ein neues Jahr steht uns bevor. Ein neues Jahr, ein neues Glück. Bitte das Spiel zu machen. Den Einsatz wagen, bevor es heißt: Nichts geht mehr. Wenn die Kugel erst einmal gefallen ist, dann heißt es gewinnen oder verlieren.

Noch dreißig Minuten. Die Front muß unmittelbar vor meinem Fenster liegen. Die Heckenschützen lauern hinter den Gardinen, sie schießen auf alles was sich bewegt. Und es bewegt sich nicht mehr sehr viel. Die Schweigenden beginnen zu gröhlen, die Schüchternen ballen die Fäuste. Und alle scheinen sie ein wenig zu wachsen.

Wir sollten den Täter und das Opfer in uns selbst suchen. Dazu haben wir im alten Jahr noch zwölf Minuten Zeit. Draußen brennt die Stadt schon. Die Menschen sitzen in den Kellern und warten, wie sie schon immer gewartet haben. Für manchen spielt sich das ganze Leben in Kellern ab. Sie warten bis es endlich losgeht, dabei ist es schon vorbei. Auf Los gehts los. Gedankenlos. Gnadenlos. Gnadenbrot. Brot und Wein. Und Blut. Ich schenke mir noch ein Glas Wein ein. Für dieses Jahr hat das Blutvergießen bald ein Ende. Noch eine letzte Zigarette.

Noch acht Minuten. Gib acht! Das wird ein Feuerwerk, sagte der alte Offiziert und setzte die Pistole an die Schläfe. Heute Nacht wird nicht geschossen, sagte die Mutter und warf das ganze Feuerwerk in den Ofen. Das Fest hat den Höhepunkt erreicht, die Gäste sind besoffen, die Fenster offen, die Sektkorken sitzen schon locker. Worauf sie auch immer anstoßen werden, es wird falsch sein. Was immer sie sich zurufen werden, es wird gelogen sein.

Noch drei Minuten. Mein Gott, gleich gehts los. Gleich hörts auf. Was kommt zuerst? Und es gibt doch ein Leben vor dem Tod. Im Radio läuten die Glocken, draußen knallt und pfeift es. Im Irak, in Palästina, in Pakistan ist das der Alltag. Prosit Neujahr!

Jetzt klingelt das Telefon. Ich nehme nicht ab. Irgendjemand denkt an mich. Wer mag das wohl sein? Egal. Es ist irgendjemand der an mich denkt. Das neue Jahr ist schon sechs Minuten alt und man hat mich noch nicht vergessen. Das fängt schon gut an. Draußen wird immer noch geschossen, die Opfer werden abtransportiert, kein Meter Boden wird preisgegeben. Der Kampf ist gnadenlos, bis aufs Messer und Gabel. Es wird auch keinen Sieger geben.

Schon sechzehn Minuten. Langsam beruhig es sich draußen wieder. Meine Fensterläden sind noch immer geschlossen. Ich habe nichts gesehen, doch alles wiedererkannt. Morgen wird von abgebrannten Weihnachtsbäumen und ausgebrannten Wohnungen in den Zeitungen stehen, von verbrannten und abgerissenen Fingern, von ausgeschossenen Augen, von Alkoholleichen und anderen. Morgen wird es genauso weitergehen, wie es gestern aufgehört hat. Die Sprüche werden noch die gleichen dummen sein, die Gesichter auch. Dieses Narrenschiff findet keinen Hafen. Es ist genug. Es ist endlich genug, hört auf! Ein paar unermüdliche schießen noch immer. Sie geben einfach keine Ruhe.

Am anderen Morgen, beim ersten Blick aus dem Fenster, sieht alles so aus wie immer, so als wäre nichts geschehen. Vielleicht ist auch gar nichts geschehen, vielleicht habe ich in dieser Nacht mir alles nur eingebildet. Niemand hat geschossen, keiner hat sich zugeprostet. Nichts hat aufgehört und nichts hat begonnen
Vielleicht ist es schon immer so gewesen, vielleicht ist noch nie etwas geschehen?

"Etwas furchtbares ist geschehen, denn nichts ist geschehen."

Dann wird es aber höchste Zeit, endlich damit zu beginnen. Vielleicht ist dies der Anfang, endlich mit all den Lügen aufzuhören. Aber die guten Vorsätze geraten schon jetzt ins Wanken.

Und noch 364 Tage bis zum nächsten Jahreswechsel. Wir wollen zuversichtlich sein.....

 

© helled-lyrik stuttgart 


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(sämtliche Texte und Fotos: cop. by h.lederer)

 
     
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